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Die Dörfer, die nicht sterben wollen

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Die Dörfer, die nicht sterben wollen

Eine Multimedia-Reportage der FURCHE.
Von Markus Hagspiel
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Mitten durch das Zentrum schlängelt sich eine vielbefahrene Landesstraße. Auf beiden Seiten reihen sich zweistöckige Häuser aneinander. Keine Schule, kein Wirtshaus, kein Supermarkt, keine Post, keine Menschen auf den Gehsteigen. Im kleinen Mannsdorf an der Donau herrscht Stille, die nur von den vorbeirauschenden Autos durchbrochen wird.

Auch andernorts in Österreich kennt man diesen Anblick. Die Menschen ziehen weg – und lassen ihre leeren Häuser zurück. Restaurants und Nahversorger gehen in Konkurs. Kleine Gemeinden schrumpfen, während urbane Räume wachsen. Besonders junge, ambitionierte Menschen verlassen das Land, denn die Stadt lockt mit besseren Ausbildungsmöglichkeiten, Jobchancen und Perspektiven. Zurück bleibt eine veraltete Gesellschaft und ein ausgestorbener Ortskern.


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Das Schicksal der kleinen Gemeinden ist aber nicht besiegelt. Vielerorts wird um die Erhaltung eines vitalen Dorflebens gekämpft. So auch in Mannsdorf, wo ein neues Gemeindezentrum entstehen soll. Ein multifunktionales Gebäude für Verwaltung, Feuerwehr, Gastronomie, Co-Working -Spaces und Gästezimmer – all das an einem Standort. „Mannsdorf kannte man bislang wegen des Fußballvereins und dem Marchfelder Spargel, mittlerweile sind wir aber auch wegen unseres Leuchtturmprojekts im Ort berühmt“, sagt Bürgermeister Christoph Windisch (ÖVP). Auch für das Land Niederösterreich ist das Vorhaben ein Paradebeispiel für die Wiederbelebung von Ortschaften. „Ich bin überzeugt, diese Initiative wird die gesamte Gemeinde Mannsdorf nach vorne bringen“, sagt Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) und verspricht auch eine Förderung von 100.000 Euro für das rund 1,5 Millionen Euro teure „Vorzeigeprojekt“.
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Auch wenn sich die Mannsdorfer darauf freuen, endlich wieder ein gastronomisches Angebot und einen sozialen Treffpunkt zu bekommen, so erheben sich auch kritische Stimmen. „Es stehen eh schon so viele Gebäude im Ortskern leer. Ich verstehe nicht, warum nicht das alte Gemeindehaus oder sonst ein leerstehendes Gebäude saniert wird“, sagt eine Mannsdorferin im Gespräch mit der FURCHE. Trotzdem hat man sich in Mannsdorf gegen die Aktivierung des alten Gemeindehauses entschieden. „Der Bestand und der Grundriss des Gebäudes eignen sich leider nicht für ein modernes Gemeindehaus“, sagt Bürgermeister Windisch der FURCHE in seinem Büro – und erhebt sich von seinem Drehsessel, um seine Entscheidung bei einer persönlichen Führung durch das Gebäude selbst zu untermauern.
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Im Erdgeschoß gibt es neben dem Büro des Bürgermeisters eine Teeküche. An der Wand hängt ein Whiteboard auf montierten Holzplatten. „Hier finden die Wahlen statt. Die Platten können wie eine Türe geöffnet werden, damit eine kleine Wahlkabine entsteht“, sagt Windisch. Der Platz ist so eng, dass diese Behelfslösung nötig ist. Im oberen Stock ist ein großer Sitzungssaal. Daneben eine Toilette, die mit einem gelben Klebeband gesperrt ist. „Das kann man ja gar nicht herzeigen”, sagt der Bürgermeister. Für ihn ist klar, dass ein Umbau des Gebäudes keinen Sinn ergibt.

„Wir hätten gerne ein anderes leerstehendes Gebäude im Ort umgebaut, doch die Leute wollen entweder ihre Häuser nicht verkaufen oder verlangen absurde Preise“, sagt Windisch. „Am Ende war die Entscheidung, neu zu bauen, auch wirtschaftlich deutlich rentabler.“ Unklar bleibt, was mit dem bisherigen Gemeindehaus passieren wird. Ab dem Sommer wird es wohl erstmals leer stehen. So wie auch die Schule nebenan oder der ehemalige Supermarkt gegenüber.
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Wie groß das Problem mit dem Leerstand genau ist, weiß man aber weder in Mannsdorf noch in ganz Österreich. Denn es gibt keine offiziellen Zahlen dazu, da die Erhebung methodisch schwierig ist. Dennoch ist die Politik sich der Problematik bewusst: Im April 2024 hat der Nationalrat eine Verfassungsnovelle verabschiedet, die den Bundesländern die selbstständige Einführung von Leerstandsabgaben erlaubt. In Salzburg, Tirol, der Steiermark und Vorarlberg wurden dazu bereits Gesetzesentwürfe beschlossen. Zudem hat das  Landwirtschaftsministerium erst im Februar 2024 einen Fördertopf von 26 Millionen zur Reaktivierung von Leerstand aufgesetzt.
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Nicht nur die vielen leer stehenden Gebäude im Zentrum, auch der Neubau des künftigen Gemeindehauses auf der grünen Wiese wird im Ort kritisch gesehen. „Ich finde es nicht gut, dass noch mehr Boden versiegelt wird“, sagt eine Passantin zur FURCHE. Denn schon jetzt würden nur wenige Menschen auf allzu viel betonierter Fläche leben. Tatsächlich liegt Mannsdorf bei der Bodenversiegelung mit 886,1 Quadratmetern pro Kopf weit über dem österreichischen Durchschnitt von 330,1 Quadratmetern. Das neue Gemeindehaus treibt das noch weiter. Für den Bürgermeister ist die zusätzliche Bodenversiegelung aber ein nebensächlicher Aspekt.
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Gegenüber der Baustelle steht ein altes gelbes Gebäude mit hölzernem Windfang. Bis 2019 war das noch das einzige Restaurant in Mannsdorf, heute steht auch dieses Haus leer. Seither fehlt den Menschen ein fixer Ort zur Begegnung. Umso dringlicher erwartet man in Mannsdorf – wie auch andernorts – konkrete Lösungen von der lokalen Politik: Laut einer vom ÖVP-Gemeindebund in Auftrag gegebenen aktuellen Umfrage unter der ländlichen Bevölkerung in Niederösterreich sieht eine deutliche Mehrheit der Befragten im Fall eines fehlenden Wirtshauses, Nahversorgers, Bankomaten und einer geschlossenen Postfiliale die Kommunen selbst in der Handlungspflicht. Die Gemeinden versuchen zwar ihrerseits, Pächter zu finden, doch das erweist sich wegen des finanziellen Risikos als durchaus schwierige Aufgabe.

„Viele Gastronomie-Betriebe am Land tun sich schwer, wirtschaftlich zu überleben, weil die Frequenz der Gäste so gering ist“, sagt die selbstständige Raumplanerin Isabel Stumfol. Das zeigen auch die Daten der Wirtschaftskammer: Seit 2010 gibt es in ganz Österreich rund 4000 Traditionsgasthäuser weniger. Allein in Niederösterreich musste in den letzten 25 Jahren jedes dritte Gasthaus schließen. Die schwarz-blaue Landesregierung hat deshalb die Wirtshausprämie eingeführt und fördert Gastronomen bei Eröffnung oder Übernahme eines neuen Restaurants mit bis zu 10.000 Euro. Unter anderem müssen dabei freilich traditionelle Speisen auf der Karte stehen, weshalb die Förderung von vielen auch als diskriminierend gesehen wird. 33 Betriebe erhielten die Unterstützung im Vorjahr. Die Landesregierung hat bereits eine Fortsetzung der Prämie für 2025 angekündigt.


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Mit einem Gasthaus am Land gut zu wirtschaften, ist also nicht einfach. Es gibt aber auch Beispiele, die optimistisch stimmen. Eines davon ist Stössing, eine 850-Einwohner-Gemeinde in der Nähe von St. Pölten. Hier musste vor einigen Jahren das einzige Café des Ort schließen. Um das Dorf wiederzubeleben, hat die Gemeinde die angrenzende, leerstehende Lagerhalle zu einem Dorftreff umgebaut. Dort können die Bewohnerinnen und Bewohner beisammensitzen, plaudern und Kaffee trinken. Im kleinen Innenraum ist eine Eckbank eingebaut, auch vor dem Gebäude stehen Tische und Sessel. Nur Service gibt es hier keines. Stattdessen ist Selbstbedienung angesagt: Die Gäste werfen das Geld in die Kassa, schreiben die Einkäufe in eine Liste und nehmen sich aus einem Körbchen das Wechselgeld heraus. So können Personalkosten eingespart werden.

Auf dem Foto steht Bürgermeister Christian Walzl von der ÖVP (links) neben Amtsleiterin Regina Lacher-Specht (mitte) und Vizebürgermeister Günter Illmayer von der SPÖ (rechts)


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„Der Dorftreff wird gut angenommen, vor allem von den Pensionisten. Es fehlt einfach etwas in einer Gemeinde, wenn es keine Gastwirtschaft gibt“, sagt Bürgermeister Christian Walzl (ÖVP) zur FURCHE. Im Winter sei es etwas ruhiger hier, so richtig aufblühen würde der Dorftreff erst im Sommer. „Da sitzen die Leute dann draußen und spielen Karten“, sagt Walzl und zeigt auf die Möbel vor der Tür.
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Der Dorftreff ist aber nicht nur ein Café, sondern auch ein kleiner Markt. Die Auswahl der Lebensmittel ist groß: Brot, Gemüse, Fleisch, Milch, Tierfutter, Getränke und vieles mehr. Eben Produkte, die jeder braucht – die aber dennoch in immer mehr Ortschaften nicht mehr erhältlich sind. In fast einem Fünftel der rund 2000 österreichischen Gemeinden gibt es keinen Lebensmittelhändler mehr. Selbstbedienung ist auch hier eine Lösung, die Kosten spart und so einen Nahversorger im Ort ermöglicht.
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Die Karte zeigt: Die urbanen Zentren wachsen, während die ländlichen Gegenden schrumpfen. Oftmals verursacht die Abwanderung das Aussterben der Ortskerne. Mannsdorf (Bezirk Gänserndorf) und Stössing (Bezirk St. Pölten Land) liegen aber beide im Wiener Speckgürtel – einer Gegend, die in den letzten zwanzig Jahren stark gewachsen ist. Da in solchen Dörfern viele Menschen täglich in die Stadt pendeln und nur im Haus am Land schlafen, kämpfen auch sie für ein aktives Zusammenleben.   

„Nicht jede Gemeinde muss größer werden. Vielmehr müssen sie sich überlegen, wie sie sich entwickeln wollen”, sagt Raumplanerin Stumfol. Ein Allheilmittel gegen aussterbende Ortskerne gibt es nicht. Gemeinden müssen die Situation vor Ort analysieren und passende Lösungen für ihre lokalen Probleme entwickeln. “Es braucht jedenfalls sogenannte dritte Orte, wo sich die Menschen treffen können”, sagt Stumfol. 
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Wie wichtig die Debatte um aussterbende Ortskerne ist, zeigt sich nicht zuletzt auch in den politischen Entwicklungen: Gerade in ländlichen Regionen fühlen sich viele Menschen von der Politik alleingelassen und unverstanden. Ihren Ärger drücken viele dann am Wahlzettel aus: Bei der Nationalratswahl im vergangenen Jahr gewann die FPÖ in ganz Österreich dazu, am meisten jedoch in kleineren Dörfern und Vororten. Im Wahlprogramm für die Nationalratswahl haben die Freiheitlichen „Servicestellen mit Bankomat und Internetzugang“, „Steueranreize für Unternehmer in abwanderungsgefährdeten Regionen“ und am Ende „blühende Gemeinden“ versprochen.

Sofern die blau-schwarze Regierung zustande kommt, wird sich zeigen, ob diese großen Versprechen eingehalten werden.
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