Hausarzt gesucht
GesellschaftHausarzt gesucht!1400 Ärztinnen und Ärzte werden in Österreich jährlich ausgebildet. Im System landet nur rund die Hälfte. Warum der Beruf des Allgemeinmediziners eine Generalüberholung braucht und wie sich der zunehmende Hausärztemangel in einer Gemeinde niederschlägt.
Hausarzt gesucht!
Hausarzt gesucht!
4500 Patient(inn)en für einen Arzt
13.470 Einwohner(innen) werden in der niederösterreichischen Kleinstadt Mistelbach von drei Allgemeinmedizinern versorgt. Zählt man den Arzt einer Nachbargemeinde rund fünf Kilometer entfernt dazu, sind es immerhin vier Kassenstellen in nächster Umgebung. Zahlreiche Patient(inn)en haben ihren Hausarzt oder ihre Hausärztin schon lange in einer der Katastralgemeinden oder umliegenden Ortschaften im Umkreis von bis zu einer halben Stunde Fahrzeit gefunden.
Dabei gäbe es eine weitere Kassenstelle direkt in Mistelbach – doch die bleibt seit über einem Jahr unbesetzt. „Das ist wirklich ein schmerzhaftes Problem“, so Bürgermeister Erich Stubenvoll (ÖVP). „Seit die Stelle frei geworden ist, kommen die Menschen noch schwerer zu einem Arzttermin, als in der Vergangenheit. Und das, obwohl die drei aktiven Ärzte über ihre Belastungsgrenzen hinaus arbeiten.“
Einen Hausarzt hat nur der, der jemanden kennt.
Der 4-Punkte-Plan
Der 4-Punkte-Plan
Förderprogramm zur Attraktivitätssteigerung
Da der Bedarf eines weiteren Allgemeinmediziners drängend ist, die Interessenten jedoch ausbleiben, hat die Stadtgemeinde Mistelbach im Oktober 2020 ein eigenes Förderkonzept beschlossen.
Mit einer Barsubvention von bis zu 50.000 Euro für die Errichtung beziehungsweise Einrichtung einer Ordination, dem Erlass von Kommunalabgaben wie Wasser- oder Kanalgebühren für die Dauer von fünf Jahren, der Förderung von Dienstleistungen (Steuerberatung etc.) bis zu 5000 Euro und der Unterstützung bei der Suche nach einer barrierefreien Immobilie versucht die Gemeinde die vakante Stelle attraktiver zu machen. Bisher leider ohne Erfolg.
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Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)
Wer bietet mehr?
Lösung Hausapotheke?
Lösung Hausapotheke?
Lösung Hausapotheke?
Die Hausapotheke gilt unter praktizierenden Ärzt(inn)en teilweise als einzige Möglichkeit, als Allgemeinmediziner mit Kassenvertrag lukrativ arbeiten zu können. „Man muss als Kassenarzt Masse machen, um sich eine Ordination leisten zu können“, erklärt Angela Daditsch*. Die Allgemeinmedizinerin ist in einer Gruppenpraxis rund 30 Minuten von Mistelbach entfernt tätig, auch sie betreut Patient(inn)en aus der Kleinstadt. Die freie Kassenstelle hat Daditsch mehrmals angeboten bekommen – der Job ist für sie jedoch vor allem aus wirtschaftlichen Gründen aktuell keine Option.
Die Tarife für eine Behandlung in der Allgemeinmedizin sind in den Bundesländern unterschiedlich hoch. Mit der Zusammenfassung der Krankenkassen zur Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) sollte auch die Abrechnung vereinheitlicht werden. Derzeit wird noch zwischen ÖKG und Ärztekammer verhandelt. Aktuell gilt in Niederösterreich etwa ein Satz von 6,51 Euro für jede Erstkonsultation pro Quartal – für Hausärzte gibt es einen Zuschlag von 5,51 Euro. Hinzu kommt, dass es quartalsweise Limitierungen gibt. „Vereinfacht gesagt: Kommt ein Patient drei Mal im Quartal, so wird der dritte Besuch von der Krankenkasse gestrichen“, erläutert Daditsch. Was dabei nicht beachtet wird: „Es gibt auch Leute, die mehrmals die Woche kommen. Ich betreue zum Beispiel einen älteren Mann, der täglich kommt, um sich die Augen eintropfen zu lassen. Natürlich machen wir das – aber eben gratis.“
Dass die Limitierungen ein Problem darstellen, bestätigt Edgar Wutscher, Obmann der Bundessektion für Allgemeinmedizin und approbierte Ärzte. „Hat man viele Patienten, arbeitet viel, wird man im Prinzip ‚bestraft‘, weil es Streichpunkte gibt.“ Diese betreffen jedoch vorwiegend die ÖGK, weniger die Kleinen Kassen.
Die Hausapotheke als alternative Finanzierungsmethode sieht Wutscher kritisch. „Jede Ordination soll sich aus der Ordination heraus rechnen. Hausapotheken sind als Versorgungsservice für kleine Gemeinden konzipiert und dort wichtig, wo der Zugang für Patienten zu Apotheken schwierig ist, oder die Patientenanzahl zu gering ist, um die Ordination daraus zu finanzieren.“
Primärversorgungseinrichtung
Primärversorgungseinrichtung
Modell der Zukunft: Primärversorgungseinrichtung
„Früher war der Hausarzt quasi 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche erreichbar. Das will ich auch nicht, schon gar nicht in einer Familie mit zwei kleinen Kindern“, beschreibt Daditsch den gesellschaftlichen Wandel. Dem Konzept des PVEs kann sie jedoch nichts abgewinnen. „Der Schichtbetrieb im Modell des Primärversorgungszentrums hat nichts mit einem Hausarzt zu tun. Statt der persönlichen, der individuellen Beratung ist ein Arztbesuch dann nur eine Momentaufnahme. Als Hausärztin kenne ich meine Patienten sehr lange und weiß, was sie brauchen und was ihnen – vielleicht auch nur aus psychologischer Sicht – hilft.“
In Mistelbach kann sich Bürgermeister Stubenvoll ob der mangelnden Bereitschaft seitens der Fachkräfte vorstellen, ein Primärversorgungszentrum kommunal zu betreiben und Ärztinnen und Ärzte anzustellen. Gesetzlich ist das jedoch nicht möglich – nur Mediziner(innen) selbst können eine PVE betreiben.
Primärversorgung: Zukunftsmodell?
Pensionswelle
Pensionswelle
Die kommende Pensionswelle
Als Argument für das Konzept der Primärversorgungseinrichtungen werden oft die veränderten Vorstellungen in der Gesellschaft, allen voran der Wunsch nach einer ausgewogenen Work-Life-Balance unter den jüngeren Generationen – und damit auch den Jungmedizinern –, gebracht. Wie vielfach berichtet, ist der Anteil der demnächst pensionierten Ärzteschaft nicht gerade klein. Die Nachbesetzung der vakanten Stellen gestaltet sich schwierig – obwohl jährlich genügend Ärztinnen und Ärzte ausgebildet werden.
Die Zahlen
Facharzt versus Allgemeinmedizin
Facharzt versus Allgemeinmedizin
Facharzt versus Allgemeinmedizin
Dass das Bild vom Allgemeinmediziner unter den angehenden Ärztinnen und Ärzten nicht besonders prestigeträchtig ist, bestätigt Magdalena Weber*, die vergangenes Jahr das Studium an der Medizinischen Universität Wien beendete und sich nun in der Basisausbildung befindet.
Hausarzt: langweilig!
Die Ausbildung
Die Ausbildung
Was macht ein Allgemeinmediziner?
Quote für Landärzte
Quote für Landärzte
Quote für Landärzte
Interessiert am Arztberuf generell sind in Österreich ausreichend junge Leute. Im Jänner haben sich 12.777 Personen für ein Studium an den Medizinuniversitäten Österreichs beworben – bei 1740 verfügbaren Studienplätzen. 2022/23 soll die Anzahl der Studienplätze um 60 auf 1800 steigen. Vergeben werden diese über ein strenges Aufnahmeverfahren.
Aufnahmeprüfung Medizin
Zwei Jahre Blutabnehmen
Zwei Jahre Blutabnehmen
Zwei Jahre Blutabnehmen
Doch die Zeit im Spital sei wenig lehrreich, erzählen sowohl die Hausärztin Angela Daditsch als auch die Jungärztin Magdalena Weber. Außer Routinetätigkeiten wie Blutabnahmen, Aufklärungs- und Auskunftsgesprächen, Patientenaufnahmen würde man nur kleine Arbeiten erledigen, aber kaum Wissen über die einzelnen Fachbereiche und konkrete Fälle erlangen.
Schlechte Ausbildung
Mehr Praxis gefordert
Mehr Praxis gefordert
Mehr Praxis gefordert
„Wir haben das Problem, dass der Großteil der Ausbildung in der Klinik stattfindet. Dadurch hat man als junger Arzt keine Ahnung von der Arbeit in einer Ordination – auch nicht, was das selbstständige Arbeiten angeht.“ Aktuell versuche man mit Seminaren und Mediatoren Unterstützung zu leisten.
Viele junge Mediziner(innen) würden nach der Ausbildung im Spital bleiben, da sie sich für eine eigene Ordination nicht bereit fühlten. „Mit Mitte 20 hätte ich mich auch in keine Ordination getraut. Im Spital hast du im Gegensatz dazu immer jemanden, den du theoretisch um Rat fragen kannst. Mit den Jahren bekommt man dann Sicherheit und Routine, aber dahin zu kommen, ist wirklich schwer“, so Daditsch.
Zusammenfassung: Warum junge Menschen nicht Hausarzt werden wollen
Zusammenfassung
Zusammenfassung
*Namen von der Redaktion geändert.
FURCHE-NavigatorÄrztemangel: Kein neues Thema
Fachärzte für Norwegen
„Wir produzieren einfach zu viele Ärzte. In den letzten Jahren sind die Studentenzahlen wieder dramatisch gestiegen", sagt ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger 1997 in der FURCHE. Christian Thonke berichtete damals darüber, dass Österreichs Ärztinnen und Ärzte nach Norwegen auswandern.
Wie sich die Nachbarn gegen den Ärztemangel wappnen
2012 wird angesichts der Situation in den Nachbarländern schon vor dem drohenden Ärztemangel in Österreich gewarnt. "Die Aussicht auf höhere Gehälter und familienfreundlichere Arbeitsbedingungen locken Mediziner fort."
Wird der Hausarzt zum Auslaufmodell?
Ärztekammerfunktionär Johannes Steinhart und Patientenvertreter Gerald Bachinger sprechen im Interview 2017 über die geplanten "Primärversorgungseinheiten", Gangbetten und "Mystery Shopping".