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Hausarzt gesucht!
Eine multimediale FURCHE-Geschichte

Hausarzt gesucht!

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Hausarzt gesucht

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4500 Patient(inn)en für einen Arzt

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„Gibt es in Mistelbach noch einen Arzt der neue Patienten nimmt?“, fragt eine Nutzerin in der Facebook-Gruppe „Mistelbach“. „Mistelbach mit Kasse kannst vergessen“, antwortet eine andere Userin. Und: „Situation in Mistelbach ist untragbar.“ Es folgen Tipps, in welche Ortschaften zu welchen Ärzt(inn)en man stattdessen ausweichen könnte.

13.470 Einwohner(innen) werden in der niederösterreichischen Kleinstadt Mistelbach von drei Allgemeinmedizinern versorgt. Zählt man den Arzt einer Nachbargemeinde rund fünf Kilometer entfernt dazu, sind es immerhin vier Kassenstellen in nächster Umgebung. Zahlreiche Patient(inn)en haben ihren Hausarzt oder ihre Hausärztin schon lange in einer der Katastralgemeinden oder umliegenden Ortschaften im Umkreis von bis zu einer halben Stunde Fahrzeit gefunden.

Dabei gäbe es eine weitere Kassenstelle direkt in Mistelbach – doch die bleibt seit über einem Jahr unbesetzt. „Das ist wirklich ein schmerzhaftes Problem“, so Bürgermeister Erich Stubenvoll (ÖVP). „Seit die Stelle frei geworden ist, kommen die Menschen noch schwerer zu einem Arzttermin, als in der Vergangenheit. Und das, obwohl die drei aktiven Ärzte über ihre Belastungsgrenzen hinaus arbeiten.“
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Bürgermeister Erich Stubenvoll (ÖVP) über die angespannte Lage in der Patientenversorgung in Mistelbach.

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Förderprogramm zur Attraktivitätssteigerung

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Mistelbach ist damit kein Einzelfall. Insgesamt 25 Kassenstellen für Allgemeinmedizin sind in Niederösterreich derzeit ausgeschrieben, bundesweit sind 121 Positionen unbesetzt.

Da der Bedarf eines weiteren Allgemeinmediziners drängend ist, die Interessenten jedoch ausbleiben, hat die Stadtgemeinde Mistelbach im Oktober 2020 ein eigenes Förderkonzept beschlossen.

Mit einer Barsubvention von bis zu 50.000 Euro für die Errichtung beziehungsweise Einrichtung einer Ordination, dem Erlass von Kommunalabgaben wie Wasser- oder Kanalgebühren für die Dauer von fünf Jahren, der Förderung von Dienstleistungen (Steuerberatung etc.) bis zu 5000 Euro und der Unterstützung bei der Suche nach einer barrierefreien Immobilie versucht die Gemeinde die vakante Stelle attraktiver zu machen. Bisher leider ohne Erfolg.
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Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)
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Bürgermeister Erich Stubenvoll (ÖVP) über den Wettbewerb unter den Gemeinden.

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Lösung Hausapotheke?

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Bürgermeister Stubenvoll ist aktuell mit einem Allgemeinmediziner in Verhandlung, wobei es hier noch keine fixe Zusage gibt. „Vonseiten der Ärztekammer sind wir bereits auf einer Art ‚Liste der Unvermittelbaren‘ gelandet, auf die man nach einem Jahr kommt.“ Bemerkenswert sei, dass dort nur Kassenstellen ohne Hausapotheke zu finden seien.

Die Hausapotheke gilt unter praktizierenden Ärzt(inn)en teilweise als einzige Möglichkeit, als Allgemeinmediziner mit Kassenvertrag lukrativ arbeiten zu können. „Man muss als Kassenarzt Masse machen, um sich eine Ordination leisten zu können“, erklärt Angela Daditsch*. Die Allgemeinmedizinerin ist in einer Gruppenpraxis rund 30 Minuten von Mistelbach entfernt tätig, auch sie betreut Patient(inn)en aus der Kleinstadt. Die freie Kassenstelle hat Daditsch mehrmals angeboten bekommen – der Job ist für sie jedoch vor allem aus wirtschaftlichen Gründen aktuell keine Option.

Die Tarife für eine Behandlung in der Allgemeinmedizin sind in den Bundesländern unterschiedlich hoch. Mit der Zusammenfassung der Krankenkassen zur Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) sollte auch die Abrechnung vereinheitlicht werden. Derzeit wird noch zwischen ÖKG und Ärztekammer verhandelt. Aktuell gilt in Niederösterreich etwa ein Satz von 6,51 Euro für jede Erstkonsultation pro Quartal – für Hausärzte gibt es einen Zuschlag von 5,51 Euro. Hinzu kommt, dass es quartalsweise Limitierungen gibt. „Vereinfacht gesagt: Kommt ein Patient drei Mal im Quartal, so wird der dritte Besuch von der Krankenkasse gestrichen“, erläutert Daditsch. Was dabei nicht beachtet wird: „Es gibt auch Leute, die mehrmals die Woche kommen. Ich betreue zum Beispiel einen älteren Mann, der täglich kommt, um sich die Augen eintropfen zu lassen. Natürlich machen wir das – aber eben gratis.“

Dass die Limitierungen ein Problem darstellen, bestätigt Edgar Wutscher, Obmann der Bundessektion für Allgemeinmedizin und approbierte Ärzte. „Hat man viele Patienten, arbeitet viel, wird man im Prinzip ‚bestraft‘, weil es Streichpunkte gibt.“ Diese betreffen jedoch vorwiegend die ÖGK, weniger die Kleinen Kassen.

Die Hausapotheke als alternative Finanzierungsmethode sieht Wutscher kritisch. „Jede Ordination soll sich aus der Ordination heraus rechnen. Hausapotheken sind als Versorgungsservice für kleine Gemeinden konzipiert und dort wichtig, wo der Zugang für Patienten zu Apotheken schwierig ist, oder die Patientenanzahl zu gering ist, um die Ordination daraus zu finanzieren.“ 


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Modell der Zukunft: Primärversorgungseinrichtung

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Seitens der Politik und der Sozialversicherung sieht man zunehmend Primärversorgungseinheiten (PVE) als Lösung für die wohnortnahe Versorgung. Wollte man bis Ende 2020 österreichweit 75 solcher Projekte umsetzen, sind derzeit erst 33 Einrichtungen in Betrieb. In Primärversorgungseinheiten arbeiten unter anderem mehrere Hausärzte in einem Zentrum oder als Netzwerk zusammen. Einerseits sollen dadurch längere Öffnungszeiten für die Patient(inn)en garantiert, andererseits den Mediziner(inne)n mehr Freiheit in Bezug auf das Arbeitszeitmodell ermöglicht werden.

„Früher war der Hausarzt quasi 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche erreichbar. Das will ich auch nicht, schon gar nicht in einer Familie mit zwei kleinen Kindern“, beschreibt Daditsch den gesellschaftlichen Wandel. Dem Konzept des PVEs kann sie jedoch nichts abgewinnen. „Der Schichtbetrieb im Modell des Primärversorgungszentrums hat nichts mit einem Hausarzt zu tun. Statt der persönlichen, der individuellen Beratung ist ein Arztbesuch dann nur eine Momentaufnahme. Als Hausärztin kenne ich meine Patienten sehr lange und weiß, was sie brauchen und was ihnen – vielleicht auch nur aus psychologischer Sicht – hilft.“

In Mistelbach kann sich Bürgermeister Stubenvoll ob der mangelnden Bereitschaft seitens der Fachkräfte vorstellen, ein Primärversorgungszentrum kommunal zu betreiben und Ärztinnen und Ärzte anzustellen. Gesetzlich ist das jedoch nicht möglich – nur Mediziner(innen) selbst können eine PVE betreiben.
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Bürgermeister Erich Stubenvoll (ÖVP) über die Umsetzung einer Primärversorgungseinrichtung in Mistelbach.

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Die kommende Pensionswelle

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„Wir haben jetzt bereits ein Defizit an Leuten, die in die Praxis gehen wollen. Warum sollten diese in eine Primärversorgungseinrichtung kommen?“, fragt Edgar Wutscher. Wichtiger sei, die Attraktivität der Allgemeinmedizin zu verbessern. „Dann können wir das Problem der Versorgung auf dem Land – und mittlerweile auch in der Stadt – wesentlich besser lösen.“

Als Argument für das Konzept der Primärversorgungseinrichtungen werden oft die veränderten Vorstellungen in der Gesellschaft, allen voran der Wunsch nach einer ausgewogenen Work-Life-Balance unter den jüngeren Generationen – und damit auch den Jungmedizinern –, gebracht. Wie vielfach berichtet, ist der Anteil der demnächst pensionierten Ärzteschaft nicht gerade klein. Die Nachbesetzung der vakanten Stellen gestaltet sich schwierig – obwohl jährlich genügend Ärztinnen und Ärzte ausgebildet werden.
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Facharzt versus Allgemeinmedizin

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Mehr als die Hälfte der Mediziner(innen) sind in Österreich Fachärztinnen und Fachärzte. Das liege auch daran, dass zu wenig Information über den Beruf des Allgemeinmediziners kommuniziert würde, betont Edgar Wutscher.

Dass das Bild vom Allgemeinmediziner unter den angehenden Ärztinnen und Ärzten nicht besonders prestigeträchtig ist, bestätigt Magdalena Weber*, die vergangenes Jahr das Studium an der Medizinischen Universität Wien beendete und sich nun in der Basisausbildung befindet.
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Eine einzige Person von Webers Kommilitonen habe von vornherein die Ausbildung zum Allgemeinmediziner angestrebt. „Zwei, drei andere haben das später beschlossen, weil sie nicht wussten, welche Fachrichtung sie wählen möchten“, so Weber.
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Quote für Landärzte

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„Man muss die Allgemeinmedizin besser hervorholen, besser integrieren“, bestätigt Wutscher die Kritik am Studienaufbau. Um mehr junge Leute für den Weg zum Hausarzt zu motivieren, forderte die ÖGK im April 2021 eine Landarztquote für das Medizinstudium. Ein gewisser Prozentsatz müsste sich bereits zu Studienbeginn verpflichten, Allgemeinmediziner(in) zu werden. Vergleichbare Modelle findet man etwa schon in Bayern. „Ich halte gar nichts von dieser Quote“, lehnt Wutscher ab. „Vor dem Studium unterschreibt man das schnell einmal, und danach findet man Gründe, warum man das nicht einhalten kann.“ Nicht Aufnahmequoten seien die Lösung, sondern die Aufwertung des Berufsbildes.

Interessiert am Arztberuf generell sind in Österreich ausreichend junge Leute. Im Jänner haben sich 12.777 Personen für ein Studium an den Medizinuniversitäten Österreichs beworben – bei 1740 verfügbaren Studienplätzen. 2022/23 soll  die Anzahl der Studienplätze um 60 auf 1800 steigen. Vergeben werden diese über ein strenges Aufnahmeverfahren.
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Zwei Jahre Blutabnehmen

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Nach dem Medizinstudium durchlaufen die jungen Ärztinnen und Ärzte eine neunmonatige Basisausbildung in einer Klinik. Danach geht es für die Fachärzte zur entsprechenden Spezialisierung, die Allgemeinmediziner bleiben 27 Monate im Spitalsturnus, bevor sie nur sechs Monate in der Lehrpraxis bei einem Allgemeinmediziner verbringen.

Doch die Zeit im Spital sei wenig lehrreich, erzählen sowohl die Hausärztin Angela Daditsch als auch die Jungärztin Magdalena Weber. Außer Routinetätigkeiten wie Blutabnahmen, Aufklärungs- und Auskunftsgesprächen, Patientenaufnahmen würde man nur kleine Arbeiten erledigen, aber kaum Wissen über die einzelnen Fachbereiche und konkrete Fälle erlangen.
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Mehr Praxis gefordert

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So drastisch sieht Ärztekammervertreter Wutscher die Ausbildungssituation nicht. „Allgemeinmediziner werden tatsächlich oft in die Schiene der Routinetätigkeiten gedrängt, aber es ist logisch, dass Assistenten, die eine Ausbildung zum Facharzt machen, in diesen Bereichen bevorzugt werden.“ Auch deshalb will man seitens der Ärztekammer die Ausbildung zur Allgemeinmedizin auf neue Füße stellen und den Fokus vermehrt auf die Lehrpraxis legen.

„Wir haben das Problem, dass der Großteil der Ausbildung in der Klinik stattfindet. Dadurch hat man als junger Arzt keine Ahnung von der Arbeit in einer Ordination – auch nicht, was das selbstständige Arbeiten angeht.“ Aktuell versuche man mit Seminaren und Mediatoren Unterstützung zu leisten.

Viele junge Mediziner(innen) würden nach der Ausbildung im Spital bleiben, da sie sich für eine eigene Ordination nicht bereit fühlten. „Mit Mitte 20 hätte ich mich auch in keine Ordination getraut. Im Spital hast du im Gegensatz dazu immer jemanden, den du theoretisch um Rat fragen kannst. Mit den Jahren bekommt man dann Sicherheit und Routine, aber dahin zu kommen, ist wirklich schwer“, so Daditsch.
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Die Stellschrauben zur Verbesserung der Situation sind zusammenfassend also folgende: mehr Information über das Berufsbild des Allgemeinmediziners an junge Leute übermitteln und das Berufsbild aufwerten, die Ausbildung entsprechend praxisnäher gestalten und die Honorierung der Leistungen so anpassen, dass Ordinationen sich selbst finanzieren können.



*Namen von der Redaktion geändert.
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